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Velokurier, ein Beruf im Kommen


Schnell und zuverlässig radeln sie durch die Städte, um Päckchen und Eilsendungen zu überbringen: In den vergangenen 30 Jahren sind Velokuriere zu einem wichtigen Glied unserer Zustellungswirtschaft geworden und haben ihr Leistungsspektrum erweitert. Eine sportliche Reportage über die Vorreiter von Vélocité in Lausanne.

Noch bevor die Ampel auf Grün springt, gibt das Klickern des Kettenblatts das Startsignal. Die schlanke Silhouette mit dem roten Trikot, dem weissen Helm und dem grossen, quadratischen Rucksack aus wetterfester Plane ist bereits weit vorn. Mit hohem Tempo saust sie den Radweg entlang. Ein Handzeichen, ein Blick auf den dichten Verkehr an diesem frühlingshaften Nachmittag, und wir gleiten im zischenden Fahrtwind Richtung Stadtzentrum. Ein paar Pedaltritte weiter steigt der Kurierfahrer ab, schliesst sein Velo an, verschwindet durch die Drehtür eines Lausanner Hochhauses, fährt mit dem Aufzug ein paar Stockwerke nach oben, nimmt ein Bündel Dokumente entgegen, die er sorgfältig in einen Plastikumschlag steckt, unterschreibt eine Quittung und setzt seine Tour fort. Die nächste Station ist der Bahnhof. Von hier aus wird die Post dank dem landesweiten Netzwerk Swissconnect (siehe Kasten), das

 

«Das Velo ist einfach das effizienteste Mittel, um Lieferungen im städtischen Raum abzuwickeln.»

 

wie ein Bindeglied zwischen den Kurierfirmen der gesamten Schweiz fungiert, nach Genf weitergeleitet. «Es dauert etwa zehn Minuten, um den Bahnhof von unserer Zweigstelle aus zu erreichen», sagt Damien Zahn leicht ausser Atem, den Blick auf den Verkehrsfluss gerichtet, um sich sogleich in die erstbeste Lücke zu schieben. «Wenn man es wirklich eilig hat, kann man es in acht schaffen.» Der Zug fährt ein, die Dokumente werden im gesicherten Postwagen am Ende des Zuges deponiert, aus dem der Kurierfahrer eine blaue Kiste entgegennimmt, sie in seinem Rucksack verstaut und mit dem Telefon am Ohr wieder Richtung Bahnunterführung läuft. «Hallo, hier Damien. Der Brief ist auf dem Weg nach Genf und das  habe ich auch abgeholt. Ich fahre jetzt rauf zum Labor. Okay, bis später.» Etwa 40 Kuriere streifen wie Damien in den roten Trikots von Vélocité, dem einzigen Unternehmen dieser Art in der Waadtländer Hauptstadt, durch die steilen Strassen von Lausanne. Zu jeder Tageszeit und bei jedem Wetter befördern sie so ziemlich alles, von sperrigen Paketen über Blumensträusse bis hin zu Verträgen, die in der Suite eines Luxushotels unterzeichnet werden müssen, und das alles je nach Kundenwunsch innerhalb von 30 bis 60 Minuten.

DER KÖRPERLICHE ASPEKT IST NICHT ZU UNTERSCHÄTZEN

Bei Vélocité haben 60 % der Fahrten einen medizinischen Hintergrund: Blutentnahmen, Zahnabdrücke, Urintests und Medikamente, die zwischen Praxen, Krankenhäusern und Labors hin und her geschickt werden. Der Rest? Dokumente, die Banken, Notare, Anwälte oder Behörden übermitteln. Einige Aufträge zur Beförderung von Mahlzeiten, insbesondere für Kinderkrippen, kommen hinzu. Dabei hat die Digitalisierung die Welt der Velokuriere grundlegend verändert: E-Mails, Scans und elektronische Unterschriften haben einen Grossteil der ursprünglichen Sendungen ersetzt. Die steigende Nachfrage hat diese Entwicklung jedoch weitgehend ausgeglichen. Ebenso das Coronavirus. «Wir beobachten den Wandel der Arbeitsgewohnheiten aus nächster Nähe», erzählt Damien Zahn, der einer der vier Co-Direktoren des Unternehmens ist. «Obwohl der ökologische Aspekt des Radfahrens dem Zeitgeist entspricht, ist er nicht unser Hauptverkaufsargument. Wir werden wegen unseres zuverlässigen Service gebucht: Das Velo ist einfach das e » – zienteste Mittel, um Lieferungen im städtischen Raum abzuwickeln.» Und eine treue Kundschaft zahlt sich aus: Erst kürzlich konnte Vélocité die Anzahl seiner Kurierfahrer erhöhen und ihnen einen 13. Monatslohn auszahlen. Ausserdem ist der Beruf nun durch einen GAV, der von den meisten Unternehmen der Branche unterzeichnet wurde, geschützt. Mit einem Stundenlohn zwischen 20 und 22 Franken pro Stunde zählt der Kurierdienst dennoch nicht zu den lukrativsten Jobs. Noch dazu gehen die Arbeitstage an die Substanz: In Lausanne kommen zu den täglich zurückgelegten Kilometern noch Höhenunterschiede hinzu, die zusätzlich ins Gewicht fallen. «Der körperliche Aspekt ist nicht zu unterschätzen», betont Damien Zahn. «Es ist kein Job, den man sein ganzes Leben lang macht. Das erklärt auch, warum es so viele Teilzeitbeschäftigte bei uns gibt: Du kannst nicht Vollzeit in die Pedale treten. Zwanzig Stunden auf dem Velo pro Woche sind schon enorm.» Wie sieht das typische Profil eines Kuriers oder einer Kurierin auf zwei Rädern eigentlich aus? Sie sind zwischen 25 und 35 Jahre alt, sportlich gebaut und verfügen über einen Hochschulabschluss. «Wir sind wahrscheinlich das KMU mit dem höchsten Prozentsatz an Masterabsolventen und-absolventinnen», fügt Damien Zahn mit einem Lächeln hinzu.

DIE RICHTIGE BALANCE

Der Geruch von lauwarmem Ka!ee liegt in der Luft. Zwei abgenutzte Sofas, eine Garderobe, an der reihenweise rote Jacken hängen, ein doppelter Computerbildschirm, auf dem Dutzende bunter Spalten und Blöcke flimmern: In der Hauptgeschäftsstelle von Vélocité, in unmittelbarer Nähe zur Lausanner Kathedrale, herrscht eine entspannte und zugleich konzentrierte Atmosphäre. Wie in einem Kontrollturm werden von hier aus die Touren entsprechend den Kundenwünschen zugeteilt, mal Routinefahrten, mal Last-Minute- Einsätze. Zwei Personen fungieren als Fluglotsen und stehen in ständigem Kontakt mit den Kurierfahrerinnen und -fahrern, die in der Stadt unterwegs sind. «Im Moment sind acht von ihnen im Einsatz», bemerkt Damien, während er einen Blick auf den Bildschirm wirft. «Der Schlüssel zur Rentabilität eines Unternehmens wie dem unseren ist das Gleichgewicht zwischen der Anzahl der Leute, die auf den Strassen sind, und der Anzahl der Fahrten.» Am anderen Ende des Korridors ist in einem dunklen Raum die Werkstatt mit Unmengen an Rädern, Reifen und sämtlichen Werkzeugen untergebracht. Gleich daneben liegt die Küche, in der sich die Mitarbeitenden zwischen ihren Shifts, den drei- bis fünfstündigen Arbeitsschichten, stärken können. In der Schweiz gibt es rund 20 vergleichbare Unternehmen, die sich hauptsächlich in den grossen städtischen Zentren angesiedelt haben. Für mehrere Wirtschaftszweige sind sie schon heute von entscheidender Bedeutung und könnten in Zukunft zu einem noch wichtigeren Glied im städtischen Gefüge werden: Kurierdienste spielen eine wesentliche Rolle auf der sogenannten «letzten Meile», einer der grössten Herausforderungen für viele eidgenössische Ballungsräume. Man stelle sich einen Sammelpunkt am Rande des Stadtgebiets vor, an dem die Lastwagen anhalten und einer Flotte von Lastenrädern Platz machen würden, die den Verkehr entlasten und die Luft- und Lärmbelastung eindämmen. Zukunftsmusik, die Velokuriere in eine ganz neue Liga katapultieren würde. Die Pause war kurz: Auf dem Trottoir macht sich Damien bereits daran, seinen Helm festzuschnüren. Neben den vielen administrativen Aufgaben, die er zu erledigen hat, möchte der Co-Direktor auch weiterhin regelmässige Fahrten übernehmen. Für ihn ein unverzichtbares Mittel, um über die Bedingungen der Branche auf dem Laufenden zu bleiben oder die Tauglichkeit neuer Radwege zu prüfen, aber auch, um das zu geniessen, was ihn vor zehn Jahren dazu veranlasste, diesen ungewöhnlichen Beruf zu ergreifen: «Wir lieben das Radfahren ganz einfach!»

In der Vélocité-Zentrale ist eine Werkstatt zur Wartung und Reparatur der Zweiräder sowie ein Kontrollzentrum untergebracht. Von hier aus werden sämtliche Touren koordiniert.

Damien Zahn musste in die Pedale treten, um seine Post am Lausanner Bahnhof abzuliefern und ein Päckchen in Empfang zu nehmen.

CARGOBIKES REVOLUTIONIEREN DIE BRANCHE

Ein Rad mit Elektro- oder Muskelantrieb? Diese Frage stellt sich in der Welt der Velokuriere für gewöhnlich nicht, da man hier in der Regel die einfachsten Transportmittel – und nicht zuletzt die körperliche Herausforderung – schätzt. Die meisten sind sich jedoch darüber einig, dass das Aufkommen von Lastenrädern den Beruf revolutioniert hat, da sie es ermöglichen, Dutzende Kilo auf einer einzigen Tour zu befördern. Vélocité betreibt inzwischen sieben Cargobikes. Das Unternehmen musste allerdings darum kämpfen, sie auch durch Fussgängerzonen navigieren zu dürfen, und sich für ausreichend breite Radwege einsetzen.

FRAGEN AN … MICHAEL HAUENSTEIN, MITGLIED DER GESCHÄFTSLEITUNG VON SWISSCONNECT

Swissconnect existiert seit 1999 und ist ein zentraler Akteur in der Schweizer Logistikbranche. Wie arbeitet dieses Netzwerk mit Kurierdienstleistern zusammen?
Es entstand in einer Zeit, als die ersten Velokuriere 1988 in Luzern aufkamen. In den grösseren Städten wuchs das Angebot rasch und schon bald entstand die Idee, auf nationaler Ebene über Bahnlinien zu kooperieren. 1999 gründete Christoph Masoner, einer der Pioniere auf diesem Gebiet, Swissconnect. Dieses Netzwerk basiert auf einer Software, die es ermöglicht, Sendungen zu zentralisieren und Informationen zwischen Dutzenden von Unternehmen zu übermitteln, die mit Zweirädern, aber auch mit grösseren Fahrzeugen arbeiten.

 

Wie hat sich Nachfrage in den letzten 25 Jahren entwickelt?
Diese Art der Dienstleistung war von Anfang an vor allem im medizinischen Bereich gefragt, weil es Dinge gibt, die man nicht digitalisieren kann. Andere Kundengruppen sind wiederum verschwunden, wie z. B. Werbeagenturen, die digitale Disketten früher physisch versenden mussten. Auch die Zahl der Sendungen von amtlichen Dokumenten ist zurückgegangen, während die Zahl der Ersatzteillieferungen stabil geblieben ist.

 

Wie sehen Sie die Zukunft der Kurierdienste angesichts der rasanten Zunahme an Hauszustellungen?
Die Nachfrage steigt, und das ist ein gutes Zeichen. Velos und Software entwickeln sich weiter, was die Wettbewerbsfähigkeit der Kurierdienste stärkt. Mitunter werden Drohnen als die neue Revolution im Lieferwesen bezeichnet, aber wir glauben nicht daran. Eine Drohne kann nicht in ein Krankenhaus oder in ein Wohnhaus gehen, um bei einer bestimmten Person zu klingeln. Ein Kurier ist durch nichts zu ersetzen.