HS Nachhaltige Entwicklung n°1 : Das Haus der Zukunft

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NACHHALTIGES BAUEN


Ein in Murist (FR) montiertes Bausatzhaus eines Veveyer Architekten könnte die Zukunft des nachhaltigen Bauens vorwegnehmen. Erschwinglich, energieeffizient und in Rekordzeit gebaut beweist es, dass das Modell des Einfamilienhauses noch nicht der Vergangenheit angehört.

Ein Bausatzhaus für nachhaltiges

Der puristische Kubus wird aus vorgefertigten Komponenten zusammengefügt und setzt auf einfache Materialien und einfache Technik. Mit seinen wandlungsfähigen XXS- bis XL Bauten bietet das Architektenbüro U15 aus Vevey ein alternatives und erschwingliches Konzept für privates Wohneigentum mit Blick auf eine «sanfte» Dichte.

In nur einem Monat nahm dieses erstaunliche Haus Form an. Alles begann im Jahr 2019, als eines Morgens zwei Lastwagen ein Grundstück der Ortschaft Murist (FR) anfuhren. Sie hatten über 200 im Werk vorgefertigte Komponenten wie Wände, Türen, eine Treppe, zwei Badezimmer und Fenster an Bord. Mit grossen Augen verfolgten Nachbarn und Passanten, wie diese Elemente wie bei einem gigantischen Tetris-Spiel in kurzer Zeit auf einer einfachen Betonplatte zusammengesetzt und miteinander verbunden wurden. Dieses «Bausatz »-Haus ist das Werk des von dem Architekten Eligio Novello gegründeten Büros U15 in Vevey. «Ich wollte ein luftiges, nachhaltiges und ressourcenschonendes Haus anbieten, das für alle Bevölkerungsschichten erschwinglich ist», erklärt er und führt uns durch die Glastür in den puristischen und formschönen Kubus.

MIT DEM WILLEN ZUR EINFACHHEIT

«Haus Keist», so der Name des Gebäudes, ist Teil eines breiter angelegten Konzepts namens «Minimhouse». Dieses ist in den Grössen XXS bis XL erhältlich, die alle eine ähnliche Struktur aufweisen und sich zu einem Wohnviertel zusammenfassen lassen (siehe Seite 35). «In der Schweiz träumen etwa 70 % der Bevölkerung von einem Eigenheim in ländlicher Umgebung. Für alle Gesellschaftsgruppen und Generationen soll dieser Traum unter Berücksichtigung ihrer finanziellen Möglichkeiten und ihrer Bedürfnisse Wirklichkeit werden können. Hier sind wir in einem XL-Modell. Es ist für eine Familie mit mehreren Kindern oder für eine kleine Gruppe gedacht, die sich ein Haus teilen möchte», sagt er und beginnt mit der Führung. Inspiriert von den für das Freiburgerland typischen Tabakschuppen besteht der Bau hauptsächlich aus Lärchen- und Fichtenholz. Im Innern geht ein grosses Panoramafenster hin zum benachbarten Bauernhof und grosszügige, durch Schiebetüren voneinander getrennte Räume verteilen sich über zwei Stockwerke. Die Schlüsselwörter sind Helligkeit und Flexibilität. «Dieses Objekt ist ein Basismodell, das sich ganz nach Belieben gestalten lässt. Beispielsweise, indem durch flexible Trennwände neue Räume geschaffen werden. Heute hat das Haus vier Zimmer, aber morgen könnten es sieben sein!», begeistert sich der Architekt. Es ist auch möglich, einen weiteren Kubus mit dem Bau zu verbinden bzw. zu Ein 4 m2 grosses Arbeitszimmer, das derzeit in Épalinges (VD) eingerichtet ist, wurde übrigens in diesem Sinne entworfen. «Wir haben auch ein Hobby- Gewächshaus im Angebot, das sich an das Haus anbauen lässt, um Gemüse zu ziehen. Während des Lockdowns hat sich gezeigt, dass Wohnraum flexibel und an alle Situationen anpassbar sein muss, um die vollständige Unabhängigkeit seiner Bewohner zu fördern.» Langfristig könnte auch ein «Minimhouse»-Shop geplant werden, in dem alle kompatiblen Komponenten erhältlich sind, wie etwa Schlaf-Tatamis für die Doppelböden, Möbel, Trennwände oder in den Boden integrierter Stauraum. Ein zentraler Innenraum birgt Stauraum sowie einen Technikraum, der sich auf wenige Elemente beschränkt, darunter ein Solarboiler und ein Schaltkasten. Denn der Lowtech-Grundsatz steht im Mittelpunkt des Projekts. Um das Haus zu heizen, genügt ein einziger Pelletofen, dessen Wärme durch kleine Schlitze in der Decke in alle Räume geleitet wird. Parallel dazu wurde ein natürliches Lüftungskanalsystem mit zahlreichen Klappen auf Höhe der Fenster entwickelt. Das Dach bietet Platz für vierzehn Photovoltaikmodule oder Sonnenkollektoren und durch einen jederzeit zugänglichen Verteilerkanal ziehen sich Stromleitungen durch das ganze Gebäude. «So ist es möglich, im Nachhinein Steckdosen hinzuzufügen, inklusive auf dem Doppelboden», betont der Architekt. Schliesslich wird mit Regentonnen unter den Dachrinnen Niederschlagswasser für die Gartenbewässerung aufgefangen.

EINE WANDLUNGSFÄHIGE IMMOBILIEN

«Durch das effiziente Design kann auf komplexe, kostspielige, invasive und energieintensive Technik verzichtet werden», versichert Eligio Novello. «Die Gesellschaft muss sich von der Vorstellung frei machen, dass ein Einfamilienhaus gleichbedeutend mit einem grossen Grundstück, einem dicken Geldbeutel und Umweltbelastung ist. Wir bieten hier das Gegenteil an. Das ist eine kleine Revolution!» Zudem stellt ein Bausatzhaus im Gegensatz zu einem Mehrfamilienhaus weniger Ansprüche an die Schallisolierung, die Ausstattung oder die Heizungssteuerung. «Diesbezüglich ist diese Art des Wohnens ökologischer als ein grosses Mehrfamilienhaus, denn es erfordert keine komplexen Komponenten, die von der Grossindustrie realisiert werden. Es gibt wesentlich weniger Planungskosten, denn es ist ein Modell, das sich mit bekannten Elementen endlos duplizieren lässt. Wir wollen zeigen, dass technische Sparsamkeit komfortabel und architektonisch hochwertig sein kann und zugleich mit den Grundsätzen der Nachhaltigkeit in Einklang steht.»
Innerhalb von fünfzehn Tagen gab es schon zehn Besichtigungen. Zu den Interessentinnen gehört auch die Freiburgerin Noémie Arrigo (41), die als künstlerische Leiterin tätig ist. «Ich habe schon immer von einem eigenen Haus geträumt, doch ich hatte nie die notwendigen Mittel dafür, da ich alleinstehend bin. Heute ist das möglich! Als ich das Haus zum ersten Mal betreten habe, war ich sofort begeistert. Ich kann mir gut vorstellen, hier zu wohnen und zu arbeiten», sagt sie lächelnd. Und eines Tages wird das Gebäude unterteilt oder vergrössert werden können, je nachdem, wie sich ihre Familiensituation entwickelt. Es lässt sich aber auch wieder in leicht zu recycelnde Einzelteile zerlegen oder von künftigen Generationen wiederverwenden.

Lila Erard

WEITERE INFOS www.minimhouse.ch

IN ZAHLEN

Das Haus Keist:
2020, Zeitpunkt der Inbetriebnahme.
170 m2, die sich in 4 bis maximal 7 Räume unterteilen lassen.
255 zusammenzubauende Komponenten.
35 Tage effektive Bauzeit.
2 Ebenen.
1 Jahr Beobachtung zur Analyse des thermischen Verhaltens des Gebäudes.
Bis zu 14 Photovoltaikmodule auf dem Dach, je nach den Bedürfnissen der Bewohner.
15 kg Pellets im Schnitt pro Woche für die Heizung, also zirka 600 Franken pro Jahr.

DER ARCHITEKT

Der EPFL-Absolvent Eligio Novello gründete das Büro U15 im Jahr 1994 in Vevey. Er realisierte mehrere Projekte wie ökologische Wohnviertel, Mehrfamilienhäuser und Verwaltungsgebäude. Darüber hinaus entwickelt der italienischstämmige Waadtländer seit fast dreissig Jahren das Konzept vorgefertigter Wohnhäuser mit dem Ziel einer Vereinfachung und Wiederverwendung der Komponenten und Rohstoffe. Im Jahr 2019 wurde das Büro durch eine besondere Erwähnung im Rahmen des «Prix Bilan de l’immobilier» für die Qualität seiner architektonischen Konzepte in Sachen Nachhaltigkeit geehrt und erhielt den zweiten Preis für das Haus Keist in Murist (FR), das nach seinem Bauherrn Frédéric Keist benannt ist. Im vergangenen Jahr wurde das Bauwerk zudem mit dem europäischen Preis «Best Architects» ausgezeichnet.

EIN SOLIDARISCHES UND WANDLUNGSFÄHIGES VIERTELN

Zwar ist das Haus Keist derzeit das erste Bausatzhaus, das gemäss dem «Minimhouse»-Grundsatz realisiert wurde, doch Eligio Novello plant, eine echte Alternative zur kollektiven massiven Verstädterung im ländlichen und periurbanen Raum zu bieten. Sein Ideal: ein ganzes Viertel, das nach diesem Konzept konzipiert ist, mit Einheiten unterschiedlicher Grösse, die auf demselben Grundstück aneinandergereiht werden. So könnten auf einer Fläche von 3500 m2 gut zwanzig Häuser entstehen, wobei das XXS-Modell eine Mindestfläche von 32 m2 zu einem Preis von 235‘000 Franken bietet. «Die Idee ist, dass das Grundstück wie bei einer Wohnungsbaugenossenschaft von allen Parteien gemeinsam genutzt wird. Wir sprechen dann von einer «sanften» Dichte, bei der die Nutzung des Grundeigentums optimiert wird und die Auswirkungen auf das Gebiet dank der umweltfreundlichen Bauweise erheblich reduziert werden», erklärt er. Die Parzelle würde dann in private, halböffentliche und öffentliche Bereiche, wie etwa Spielplätze und Gärten, unterteilt. Denn so bleibt jeder in Kontakt mit der Natur, die Generationen mischen sich und soziale Kontakte werden gefördert. Derzeit treten der Architekt und sein Team auf der Suche nach interessierten Projektträgern an die Kommunen heran. «Alle, die über geeignetes Bauland verfügen, können uns kontaktieren», betont er.