HS Nachhaltige Entwicklung n°1 : Das Haus der Zukunft

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An der Universität Zürich analysiert man die Zusammenhänge zwischen IT und Klimakrise

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IT NEU DURCHDENKEN


Energieintensive Server, seltene Metalle, aufwendiges Recycling: Unsere Nutzung digitaler Ressourcen belastet die Umwelt stark. Dennoch sind sie ein unverzichtbares Instrument für den Übergang zu einer nachhaltigeren Gesellschaft. Eine Gruppe von Forschenden der Universität Zürich versucht, Klarheit zu schaffen.

Die Informatik – zugleich Lösung

Obwohl der digitale Sektor bei weitem nicht der umweltschädlichste ist, steht er weiterhin im Mittelpunkt der Debatte um den ökologischen Wandel. Zwar vermarktet die
Branche zunehmend energiesparendere Geräte, doch ein immer datenhungrigerer Konsum behindert ihre nachhaltige Veränderung. Trotzdem spielt sie eine wichtige Rolle bei der Entwicklung umweltfreundlicher Technologien.

Welche Zusammenhänge bestehen zwischen der Digitalisierung unserer Gesellschaft und der globalen Erwärmung? An der Universität Zürich beschäftigt sich die Arbeitsgruppe von Professor Lorenz Hilty seit 2010 mit diesem Thema. Denn die energieintensive IT-Branche, die bei der Herstellung von elektronischen Geräten auf seltene Materialien zurückgreift, ist ein wesentlicher Akteur der Krise. Die Frage nach dem Energieverbrauch der Digitalisierung ist im Übrigen eine allgegenwärtige Debatte. Lorenz Hilty weist auf zwei Hauptquellen des Problems hin. Die erste sind so genannte Hotspots, Bereiche, die besonders daten- und damit energiehungrig sind. Ganz oben auf der Liste stehen hier Kryptowährungen oder auch das Streaming. Nach Aussage des «Cambridge Centre for Alternative Finance» verbraucht das weltweite Bitcoin-Mining beispielsweise so viel Strom wie ein Land in der Grösse Schwedens. Das Videoportal You- Tube, auf dem täglich eine Milliarde Stunden ausgestrahlt werden, produziert jährlich mehr als 10 Millionen Kubikmeter CO2, was in der Schweiz den Treibhausgasemissionen von vier Monaten entspricht – und das nur für eine einzige Website. Ja, diese Zahlen verursachen Bauchschmerzen. Und dennoch: Selbst wenn man die Herstellung von Geräten wie Handys oder Computern mit einbezieht, liegt die IT-Branche noch weit hinter anderen Industrien, wie etwa der Zementindustrie, welche zwei- bis dreimal so viel Umweltverschmutzung verursacht.

EINE PARADOXE DYNAMIK

Seit über siebzig Jahren bemüht sich der Sektor sogar, seine Energieeffizienz erheblich zu verbessern, indem er dem so genannten Koomey’schen Gesetz folgt: Die Energiemenge, die ein Computer benötigt, um eine feste Anzahl von Informationen zu verarbeiten, halbiert sich alle 1,6 Jahre. Das bedeutet, je mehr diese Geräte weiterentwickelt werden, desto weniger Strom verbrauchen sie. Dieser Trend konnte seit 1950 nachgewiesen werden. Nun ist es aber so, dass der tatsächliche Verbrauch unserer Digitalisierung
stetig steigt, und zwar aus einem einfachen Grund: Wir verwalten immer mehr Daten. «Das beste Beispiel, um das zu demonstrieren, ist 5G», erläutert Lorenz Hilty. «Unsere Forschungsgruppe hat für Swisscom eine Studie über den Energiebedarf von Mobilfunkstandards bis 2030 durchgeführt. Um die gleiche Datenmenge zu verarbeiten, verbraucht 5G fast siebenmal weniger als 4G. Leider zeigen unsere Schätzungen, dass wir bis dahin täglich neunmal mehr Daten nutzen werden als heute. Unterm Strich haben wir folglich einen Anstieg des Energiebedarfs um 30 %.» Ein Paradoxon, das der Fachmann nur allzu gut kennt: Je mehr die technologischen Verbesserungen die Nutzungseffizienz einer Ressource erhöhen, desto stärker steigt letztlich der Verbrauch. Diese klimapolitisch kontraproduktive Dynamik ist das zweite Problem, auf das der Zürcher Professor hinweist.

IMMER AUF DEM NEUESTEN STAND

Darüber hinaus dürfen die Auswirkungen der Herstellung digitaler Geräte, insbesondere die Verwendung seltener Metalle, nicht ausser Acht gelassen werden. Jedes Jahr kommen neue Geräte auf den Markt, gekoppelt mit Anwendungsaktualisierungen, die ältere Modelle veralten lassen oder sogar unbrauchbar machen. «Damals mussten Computer physisch verändert werden, wenn man ein Update machen wollte», erklärt Lorenz Hilty. «Mit der Einführung der Programmierung wurde die Trennung zwischen Hardware (physische Teile wie z. B. die Mikroprozessoren in unseren Mobiltelefonen, Anm.d.Red.) und Software (Programme, Anm.d.Red.) möglich. Sie wurde entwickelt, um die Notwendigkeit zu vermeiden, die Hardware systematisch zu ersetzen. Inzwischen hat die Computerindustrie jedoch das Paradigma geschaffen, dass Software ständig aktualisiert werden muss. Wir kaufen also keine fertigen Geräte mehr, sondern das Versprechen, dass diese mit dem nächsten Update funktionieren werden, was ihre Lebensdauer erheblich verkürzt» Dieser Drang nach Verbesserung und Konsum geht mit einer ganzen Reihe von Umweltproblemen einher. «Mehr als die Hälfte der Elemente des Periodensystems kommen in unserer Hardware zum Einsatz», verrät der Zürcher Professor. «Selbst unter optimalen Recyclingbedingungen kommt es zu unvermeidlichen Verlusten, die zu einer Verknappung der natürlichen Ressourcen führen. Die Digitalisierung schafft auch eine wirtschaftliche Abhängigkeit von den Ländern, die diese Mineralien besitzen, wie zum Beispiel China oder die Demokratische Republik Kongo.»

TROTZ ALLEM EIN TRUMPF

Ist das Rennen also von vornherein verloren? Nein, denn es gibt Lösungen. Die Branche zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie die Entwicklung neuer grüner Technologien unterstützt. Eine 2017 veröffentlichte Studie eines Forscherteams der Universität von Valencia (ES) hebt hervor, dass viele Industrieländer einen Digitalisierungsgrad erreicht haben, bei dem die CO2-Emissionen mit zunehmender Datenverarbeitung sinken. Dies geschieht insbesondere durch eine intelligentere Stadtplanung mit verbundenen Stromnetzen, die eine optimale Umverteilung der Sonnenenergie ermöglichen. «Das Internet bietet die Chance für ein einzigartiges Verteilungssystem von Ressourcen», betont Lorenz Hilty. «Wir arbeiten zum Beispiel an LOTA – Landscape of Opinions for Technology Assessment. Diese Software ist ein Tool für die Bewertung neuer umweltfreundlicher Technologien. Sie ermöglicht es Experten, ihre Meinungen auszutauschen und die Debatte um eine nachhaltige Digitalisierung voranzutreiben. » Das Team des Professors arbeitet ausserdem an einem Simulationsspiel namens Post-Fossil Cities. «Es ist eine Simulation, in der die Nutzer den Ausbau einer Metropole ohne Treibhausgasemissionen und unter verschiedenen Bedingungen steuern müssen.» Das Projekt läuft zwei Jahre und kann von Fachleuten im Bereich Stadtplanung als Modell genutzt werden. Ab einer bestimmten En wicklungsschwelle wird die Informatik also zu einem entscheidenden Pluspunkt für den Klimawandel. Um wirklich ökologisch zu werden, muss diese Industrie jedoch auch ihrer eigenen Gier entgegentreten.

Mattia Pillonel

WEITERE INFOS www.ifi.uzh.ch/isr

IN UNSEREM LAND

Etwa zwei Drittel der inländischen Emissionen stammen von Laptops und Desktop-Computern, von Tablets, Smartphones und Druckern, während der Rest von Telekommunikationsunternehmen und Rechenzentren («Data Center») produziert wird. Laut einer Studie der Forschungsgruppe von Lorenz Hilty in Zusammenarbeit mit Swisscom, der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) und dem WWF könnte die Schweiz durch die digitale Entwicklung bis 2025 bis zu sieben Millionen Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr einsparen. Dieses optimistische Szenario erfordert jedoch ambitionierte Massnahmen, wie eine Verringerung des ökologischen Fussabdrucks dieses Sektors um 17 %.

SPRUNGHAFTER ANSTIEG DER RECHENZENTREN

In Europa hat der Stromverbrauch der Rechenzentren zwischen 2010 und 2018 um mehr als 42 % zugenommen, während sich die notwendige Leistung zur Speicherung eines Terabytes im gleichen Zeitraum auf ein Neuntel reduziert hat. Eine von der Europäischen Union (EU) beauftragte Studie von 2021 geht davon aus, dass dieser Energiebedarf bis 2030 um weitere 30 %, also von 76,8 TWh auf 98,52 TWh, steigen wird. Das entspricht dem Jahresverbrauch von über 12 Millionen Haushalten! Die EU hat sich das Ziel gesetzt, bis dahin kohlenstoffneutrale Rechenzentren zu haben. Laut der Studie wäre eine Deckelung der Datenströme eine der wenigen Lösungen, um dieses Ziel zu erreichen.