INTERVIEW
ENERGIE: DIE SCHWEIZ VON MORGEN
Die Abkehr von fossilen Energieträgern, die Steuerung von Verkehrsflüssen, die Entwicklung sauberer, effizienterer Technologien – es gibt zahlreiche Wege, wie wir die Herausforderung des ökologischen Wandels meistern können. Für Éric Plan, Generalsekretär der Plattform CleantechAlps, hat unser Land einige Trümpfe in der Hand, die es auszuspielen gilt.
«Um den Energiewandel zu meistern, müssen wir Risiken eingehen»
Mehr als zehn Jahre nach der Lancierung der Energiestrategie 2050: Wo steht die Schweiz bei der Umstellung auf ein nachhaltigeres Modell? Welche Herausforderungen stehen uns bevor? Wir ziehen Bilanz mit Éric Plan, dem Generalsekretär von CleantechAlps, der Plattform zur Förderung sauberer Technologien.
März 2011: Wenige Tage nach der Nuklearkatastrophe in Fukushima beschliesst der Bundesrat, die langfristige Energieplanung der Schweiz zu überarbeiten. Das zentrale Ziel ist eindeutig: der Ausstieg aus der Atomenergie. Die nationale Strategie basiert auf einem Zeithorizont bis 2050 und zwei Zwischenstufen in den Jahren 2020 und 2035. Obwohl die ersten Verpflichtungen eingehalten werden konnten, sind für den weiteren Prozess erhebliche Veränderungen erforderlich, sowohl in Bezug auf die Technologien als auch auf die Verhaltensweisen.
Es wird viel über die Energiestrategie 2050 gesprochen, was sie tatsächlich beinhaltet, ist aber oft nicht klar. Wie lässt sie sich zusammenfassen?
Das Programm zielt darauf ab, den Energieverbrauch zu senken, die Energieeffizienz zu verbessern und erneuerbare Energien zu fördern. Im Jahr 2019 wurde es durch die Klimastrategie ergänzt, die sich die Klimaneutralität bis 2050 zum Ziel setzt. Es ist also nicht nur von einem Übergang die Rede, sondern vielmehr von einer echten Energierevolution, die sich grundlegend auf die Struktur unserer Gesellschaft auswirken wird. Man darf sich nichts vormachen: Ein Umdenken in Sachen Energie geht mit einem tiefgreifenden Umbruch einher. Wir stehen an der Schwelle zu einer sozialen und technologischen Revolution.
Welche Funktion hat die Energiestrategie 2050 in diesem Kontext?
Ihr Ziel ist es, den Übergang zu einer viel widerstandsfähigeren Gesellschaft zu vollziehen. Angesichts der unzähligen Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt, von Naturgefahren bis hin zu politischen Spannungen, müssen wir Wege finden, um uns flexibel an das anzupassen, was kommen mag. Auf Schweizer Ebene bedeutet dies, weniger Treibhausgase zu emittieren, aber vor allem die Energieproduktion und die Energienetze zu kontrollieren.
Es geht also darum, Energieautonomie zu erreichen?
Das glaube ich nicht. Die Schweiz sollte sich nicht als Insel sehen, sondern mit ihren Nachbarn interagieren. Allerdings muss das Land die Hebel in der Hand haben, um seine Energieversorgung zu steuern, die natürlich grösstenteils aus erneuerbaren Energieträgern besteht, um von fossilen Brennstoffen wegzukommen. Die eigentliche Herausforderung in dieser Gleichung ist die Speicherung, insbesondere die saisonale Speicherung, sowie die Beher schung von Pufferspeichern, um Produktionsschwankungen auszugleichen.
Das Jahr 2050 ist nicht mehr weit weg. Wird es uns denn gelingen, diesen Zeitrahmen einzuhalten?
Zwei Zeiträume prallen hier aufeinander: Aus geologischer Sicht ist das Jahr 2050 sehr nah. Aus menschlicher Sicht grenzt diese Perspektive jedoch an ScienceFiction. Die Politik braucht ein derartiges Ziel, wenngleich es sehr abstrakt ist. Die Kommunikation ist eine zentrale Herausforderung: Wir müssen uns von Zahlen lösen und uns auf konkrete Beispiele konzentrieren, die kausalen Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel und unserem täglichen Leben aufzeigen, damit sich jeder angesprochen fühlt.
Die Zusammenhänge werden immer sichtbarer …
Ja, wir bekommen die Folgen der globalen Erwärmung auf individueller Ebene zu spüren. Milde Winter, zu wenig Niederschlag, extreme Wetterereignisse … All diese Phänomene werden sich immer stärker auf unsere Lebensqualität auswirken.
Wir müssen unser Energiemanagement grundlegend überdenken. Die Lösung ist also nicht allein in der Technologie zu suchen?
Die Vorstellung, dass die Wissenschaft alles lösen kann, ist verlockend und viele Menschen glauben noch daran. Doch dies ist ein Trugschluss. Auf technologischer Ebene verfügen wir heute zwar über äusserst leistungsfähige Werkzeuge, von Solarmodulen über künstliche Intelligenz bis hin zu Methoden der CO2 -Abscheidung. Die Frage ist jedoch, was wir damit tun. Die Antwort ist in den Sozial- und Kognitionswissenschaften zu suchen. Dies ist ein zentraler Punkt: Jede Entwicklung erfordert die Akzeptanz und die Unterstützung der Bevölkerung. Eine resiliente Gesellschaft fusst zugleich auf wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Ebene. Die Wirtschaft muss stark sein, um Stabilität zu gewährleisten, sie darf aber nicht die Politik diktieren.
Wenn es um technologische Lösungen geht, hat unser Land doch einige gute Karten in der Hand, oder?
Natürlich spielt die Schweiz in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle: Dank unserer Innovationskultur haben wir heute in mehreren Sektoren Weltmarktführer. Beispiele hierfür sind Studer Innotec im Bereich der Wechselrichter für Mikronetze oder Aqua4D bei der Wasseraufbereitung. Es handelt sich um innovative KMU, die sich in boomenden Märkten durchsetzen konnten und Jahr für Jahr steigende Nachfrage und Zuwachs verzeichnen. Für mich liegt die Zukunft des Schweizer Cleantech-Sektors in dem, was ich gerne als «die Swatch der Cleantechs» bezeichne: robuste, funktionale, einfache, reparierbare Geräte und Lösungen, die aus reichlich vorhandenen Materialien und genau dem richtigen Mass an Technologie hergestellt werden.
Nachhaltigkeit wird immer mehr zum Marketingargument. Der Beweis, dass sich die Zeiten ändern?
Ja. Dies bedingt natürlich auch den zunehmenden Erfolg des Greenwashings, aber im Grunde ist es ein gutes Zeichen. Wenn ein grosser Akteur handelt, und sei es auch nur im Kleinen, dann ist das ein Signal für die gesamte Branche.
NÄHRBODEN FÜR ZUKUNFTSTECHNOLOGIEN
Die Westschweiz auf der Weltkarte der sauberen Technologien etablieren: So lautet die Mission der von den sieben Westschweizer Kantonen gegründeten Plattform CleantechAlps, die vom Staatssekretariat für Wirtschaft unterstützt wird. Als Bindeglied zwischen Forschung und Industrie ist sie der bevorzugte Ansprechpartner für Politik, Unternehmen und Medien im Bereich der Innovation.
Können wir wirklich von einer Wirtschaft träumen, die Nachhaltigkeit vor Wachstum stellt?
Die Corona-Krise oder der Krieg in der Ukraine zeigen, wie fragil unsere Lieferketten sind. Dies wirft Fragen nach der Herkunft unserer Rohstoffe auf: Wir erkennen, dass es nicht unbedingt teurer sein muss, wenn wir unsere Rohstoffe möglichst grenznah beziehen, und dass dies vor allem eine entscheidende Unabhängigkeit mit sich bringt. Natürlich wird sich das System nicht von heute auf morgen ändern und die Fehler der Vergangenheit geraten schnell in Vergessenheit, aber der Druck der Bevölkerung kann sich auf die Politik auswirken.
Diese Trägheit fi ndet man auch auf individueller Ebene: Wenn von Suffi zienz und Verbrauchssenkung die Rede ist, stösst man auf Stirnrunzeln …
Man sollte die Senkung des Verbrauchs nicht systematisch mit Zugeständnissen beim Komfort gleichsetzen. Zum einen weil es in der Schweiz einige Beispiele in diesem Bereich gab, die etwas aus dem Ruder gelaufen sind. Der Vorschlag, die Heizung in einem Haus auf 19 °C zu senken, sollte nicht als Anstrengung, sondern als gesunder Menschenverstand aufgefasst werden. In dieser Beziehung hat der Coronavirus einen Quantensprung bewirkt: Er hat unsere Lebens- und Arbeitsweise beeinfl usst und wir haben alle gelernt, Informationstechnologien zu nutzen, die bis dahin nicht ausreichend ausgeschöpft wurden. Dies verdeutlicht doch, dass wir – wenn uns äussere Faktoren dazu zwingen – Veränderungen in kurzer Zeit erreichen können. Die Klimakrise sollte ein solcher Faktor sein.
Es bedarf demnach einer Krise, damit wir uns weiterentwickeln?
Eine Krise beschleunigt politische Prozesse, die oft sehr langsam voranschreiten. Wenn der Rechtsrahmen die Umsetzung nachhaltiger Lösungen erschwert, ist das problematisch. Aber wir bewegen uns Schritt für Schritt in die richtige Richtung.
«Wir stehen an der Schwelle zu einer sozialen und technologischen Revolution.»
Die kommende Generation wird der Hauptakteur der Schweiz im Jahr 2050 sein. Stellt Bildung die zentrale Herausforderung dar?
Das liegt auf der Hand. Wir befi nden uns an einem Wendepunkt: Die Generation der Babyboomer erreicht das Rentenalter, und die Arbeitswelt erfährt einen tiefgreifenden Wandel: Berufe verschwinden, neue entstehen. Um von diesem Wandel zu profi tieren, muss man in die Zukunft blicken: Wie wird unsere Gesellschaft im Jahr 2050 aussehen? Was werden die verschiedenen Berufszweige benötigen? Welche Kompetenzen werden erforderlich sein? Wie von einem Beruf zu einem anderen wechseln, den es noch gar nicht gibt? Das ist keine Träumerei, sondern Realität: Es gibt Branchen, von denen wir wissen,dass die Menschen dort Arbeit fi nden werden. Auf diesem Gebiet, das von einer gewissen Stagnation geprägt ist, muss viel mehr passieren. Die Tatsache, dass die Zuständigkeit für die Bildung bei den Kantonen liegt, trägt nicht unbedingt zur Beschleunigung dieser Prozesse bei.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, es aber noch einiges zu tun gibt. Was kann eine Plattform wie CleantechAlps zu diesem Prozess beitragen?
Unsere Organisation spielt die Rolle des Beschleunigers und Vermittlers. Der Vorteil ist, dass wir auf der Seite der Öff entlichkeit stehen: Unser Ziel ist es nicht, Gewinne zu erzielen, sondern Fortschritte zu machen. Es gibt zahlreiche Beispiele, und nicht nur von Start-ups. Es existieren bewährte Lösungen auf dem Markt, die nur darauf warten, von der breiten Mehrheit eingesetzt zu werden. Um dies zu erreichen und somit die Energiewende erfolgreich zu gestalten, müssen wir massiv in die strategischen Sektoren, an die wir glauben, investieren. Es geht darum, Entscheidungen zu treff en, Risiken einzugehen, um die Bewegung voranzubringen, und vor allem zu akzeptieren, dass man sich bisweilen irren kann. Wir sind ein kleines Land, das sich den Luxus von Doppelspurigkeiten und Geheimniskrämerei nicht länger leisten kann. Gegenseitiges Vertrauen zwischen den Akteuren auf allen Seiten, Sachlichkeit, Austausch und Geduld – das ist es, was uns helfen wird, dieses Ziel gemeinsam zu erreichen.
Das Interview führte par Clément Grandjean