Verwertung
Sie verwandeln unseren Abfall in Gold
Sind unsere Abfälle die Rohstoffquelle von morgen? Laut dem Modell der Kreislaufwirtschaft steht das ausser Frage. Mehrere Unternehmen in der Westschweiz sind in diesem neuen Industriezweig bereits erfolgreich aktiv und wir müssen unser Verhältnis zu Rohstoffen ganz klar überdenken.
In einem Punkt sind sich die Experten einig: Das 21. Jahrhundert muss ein Jahrhundert des Paradigmenwechsels werden, der darauf beruht, sich von der Idee des unendlichen Wachstums zu verabschieden. Im Zentrum der Problemstellung steht das Element Kohlenstoff. «Da Kohlenstoff von Kunststoffen über Farben bis hin zu Textilien in unserem Alltag allgegenwärtig ist, kann der Übergang von einer umweltbelastenden Linearwirtschaft zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft allerdings nur unter der Voraussetzung gelingen, dass wir andere Kohlenstoffquellen als das Erdöl erschliessen», erklärt Florent Héroguel, Doktor der Chemie und Mitbegründer des Startups Bloom (Seite 39). «Nun gibt es aber lediglich drei Kohlenstoffquellen: das CO2 der Atmosphäre, die Biomasse, also organische pflanzliche oder tierische Materie, und unsere Abfälle.»
AUSSCHLAGGEBEND SIND DIE KOSTEN
Zusätzlich müssen die Alternativen zum Ausbau dieser Ersatzlösungen bestimmte Kriterien erfüllen, um als Ersatz für die vorhandenen Produkte in Frage zu kommen. Diese Lösungen müssen nämlich nicht nur die Leistung und Qualität von Erdölderivaten erreichen und auf Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft ausgerichtet, sondern allen voran wettbewerbsfähig und preiswert sein, um vollständig umgesetzt zu werden. Das ist die Herausforderung, der sich derzeit zahlreiche Unternehmen stellen, nämlich dieses neue Gold zu sammeln und kostengünstig umzuwandeln. Der Beginn des Wettlaufs um Kohlenstoff hat einen Wendepunkt in der Geschichte des Recyclings eingeläutet. Was ist das sichtbarste Zeichen für diese Veränderung? Das ist unsere geänderte Wortwahl. Wir sprechen nicht länger von Abfällen, die es unter allen Umständen zu entsorgen gilt, sondern von «Nebenprodukten», «Lagerstätten» oder «Ressourcen». Diese neuen Materialien bergen ein nicht unerhebliches Potenzial in Sachen wirtschaftliche Wertschöpfung, sofern entsprechende Industriezweige entwickelt werden. Und sie boomen: Auf dem Gebiet der Schweiz tauchen regelmässig innovative Lösungen auf, wobei Startups, Labore und Hochschulen immer ausgereiftere Technologien bieten. Auch wenn diese Initiativen die Reaktion auf eine ökologische Notwendigkeit sind, so geht es doch auch um finanzielle Herausforderungen. Es gilt nämlich, angesichts einer gesamten weltweiten Rohstoffverknappung eine Autonomie und nationale Unabhängigkeit zu gewährleisten.
« Bis zum Jahr 2030 wird es nicht mehr genügend Rohstoffe zur Belieferung der weltweiten Industrie geben. Wir müssen lernen, diese durch unsere Abfälle zu ersetzen. »
HOHER STEIGERUNGSSPIELRAUM
Grundlage des gesamten Recyclingprozesses sind die individuellen und kollektiven Mülltrennungsgewohnheiten, denn sie bedingen die Effizienz der Produktionskette. In der Schweiz ist der Steigerungsspielraum noch hoch, auch wenn wir für uns in Anspruch nehmen können, in den bereits bestehenden Systemen effizient zu sein. Wir sind mit einer Quote von 82 % nicht nur Weltmeister beim PET-Recycling – der europäische Durchschnitt liegt bei 38 % –, sondern wir recyceln ebenfalls 94 % Glas. Diese Recyclingkultur gilt es nun auf andere Industriezweige zu übertragen. Selbst kleine Anstrengungen werden uns weit bringen …
REIFEN
TRS, PRÉVERENGES (VD)
Dieses Technologie-Unternehmen zählte 2016 zu den zehn vielversprechendsten Startups der Schweiz und verwertet alle Komponenten eines Reifens. Zunächst werden die Reifenflanken durch einen raschen Schnitt von der Lauffläche getrennt. Dann wird letztere durch ein patentiertes, WaterPulse genanntes Verfahren pulverisiert. Der Prozess beruht auf dem Einsatz eines pulsierenden Wasserstrahls mit dem enormen Druck von 2500 bar, wodurch sich ein teilweise devulkanisiertes Pulver mit speziellen morphologischen Eigenschaften erzielen lässt. Aufgrund seiner Struktur hat es eine hohe mechanische und chemische Bindungsfähigkeit und kann daher für etwa 15 verschiedene industrielle Fertigungen verwendet werden, beispielsweise für Auto- oder LKW-Reifen, gummimodifizierten Asphalt, Isoliermembranen im Bauwesen oder Schuhsohlen. Es ist 30 bis 40 % günstiger als der vorhandene Rohstoff und gewährleistet einen stabilen Preis für eine Leistung, die dem entspricht, was derzeit am Markt erhältlich ist.
STAHL
PANATERE, SAIGNELÉGIER (JU)
Panatere ist seit 2012 in Saignelégier (JU) ansässig. Das Unternehmen hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Metallrohstoffreste wiederzuverwerten, die bei der Produktion der im Jurabogen ansässigen KMU (vornehmlich Uhren- und Medizintechnik) anfallen, und ihnen zu einem neuen Leben zu verhelfen. Oder sogar zu mehreren neuen Leben. Das Unternehmen hat nämlich bereits bewiesen, dass es dasselbe Material ohne Leistungsverlust acht Mal in Folge aufbereiten kann und dabei strenge Normen erfüllt. Nach der selektiven Sortierung nach Stahlsorte und einer spektrometrischen Überprüfung werden die Teile zerkleinert und in einem Solarofen bei über 2000 °C geschmolzen. Dieses Stahlrecyclingverfahren, bei dem sich die CO2-Bilanz pro Kilo produziertem Stahl um das 165-fache reduzieren lässt, ist weltweit einzigartig. Gleichzeitig bleibt man auf dem europäischen Markt wettbewerbsfähig. Während das Unternehmen auf die Aufstellung seines Ofens in La Chaux-de-Fonds (NE) wartet, die für das kommende Jahr geplant ist, unterstützt es die Entwicklung neuer Werkstoffe und demonstriert weiterhin seine Leistungsfähigkeit.
PFLANZEN
BLOOM, LAUSANNE (VD)
Bloom wandelt Pfl anzenmaterial – hauptsächlich Schweizer Laubhölzer und Agrarrückstände – in fossile Rohstoffe um, die das Erdöl ersetzen sollen. Bei dem an der ETHL entwickelten Verfahren wird das Lignin des Holzes mittels spezieller Bioraffi nerie-Techniken isoliert. Die dabei gewonnenen Stoffe können im Bereich der Feinchemie dazu genutzt werden, Zusatzstoffe, Vitamine, Antioxidantien, Duft- oder Aromastoffe zu erzeugen, aber auch im Bauwesen zur Herstellung äusserst leistungsfähiger Harze eingesetzt werden. In jüngerer Zeit hat sich das Team der Aufgabe verschrieben, einen leicht recycelbaren Polyester mit ausgezeichneten mechanischen Eigenschaften zu entwickeln, um Kunststoffe wie PET zu ersetzen. Das Waadtländer Unternehmen plant, in Kürze Kapital zur Finanzierung einer ersten Demonstrationsanlage zu beschaffen, um seine Verfahren weiterzuentwickeln, zu optimieren und zu standardisieren..
KUNSTSTOFF
DEPOLY, SITTEN (VS)
DePoly wurde 2020 gegründet. Das Unternehmen recycelt unendlich oft und auf nachhaltige Art Kunststoff aus Abfällen, die aus der Industrie, den Kommunen oder der Umwelt stammen. Durch selektive Hydrolyse des Materials mithilfe einer chemischen Lösung und eines Katalysators werden Abfälle wie PET und Polyester bei Raumtemperatur depolymerisiert und zersetzt. Nach der Umwandlung in Monomere können diese dann wiederverwendet werden, um eine Verbindung herzustellen, die mit dem Original identisch ist. Dieses energie- und kostengünstige Verfahren verringert den CO2-Fussabdruck der Kunststoffproduktion im Vergleich zur herkömmlichen Methode auf Erdölbasis um 65 %. Die mithilfe dieses Verfahrens erzeugten Produkte können für Lebensmittelverpackungen, für die Textilindustrie oder für die Herstellung von Sanitärprodukten verwendet werden. DePoly hat den Bau einer Demonstrationsanlage geplant, um einen industriellen Massstab zu erreichen und weiterhin Recyclinglösungen für andere Kunststoffarten zu entwickeln.